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Prof. Dr. em. Wolfgang Schulze

Prof. Dr. em. Wolfgang Schulze †

 

Nachrufe auf Wolfgang Schulze


Gippert, Jost: The Thorny Road to Caucasian Albania. In Memory of Wolfgang Schulze (1953–2020): Oya čohoc nowte hil'al bownehē hē-hanayoḳe. In: Iran and the Caucasus. Band 24, 2020, S. 287–297.

Zemaníková, Nadežda: Nachruf auf Prof. Dr. Wolfgang Schulze (* 29. 1. 1953 – † 13. 4. 2020). Slowakische Zeitschrift für Germanistik, Jahrgang 12, 2020 Heft 1, 77-79.

Wikipedia-Artikel über Wolfgang Schulze

 

Mosaiksteine – Erinnerungen an Wolfgang Schulze


(Stand 2. Juni 2020)

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Pünktlich zu Pfingsten hat Professor Schulze in seinem Unterricht nie versäumt, an das „Hochfest der Sprachwissenschaft“ zu erinnern: Erst durch den Heiligen Geist, der den Auftrag gab, die Botschaft Jesu zu verbreiten, kam es zur – sehr plötzlichen – Ausbildung von verschiedenen Sprachen. Ohne Pfingsten hätten die Linguisten (fast) nichts zu tun. (Veronika Bauer)

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Ich kann mich gut an den Beginn meines Studiums bei ihm erinnern: Ich hatte unverhofft eines nachmittags Zeit und dachte, schau mal nach, was an der Uni gerade passiert. Da stand das Seminar „Syntax“ von ihm. Syntax konnte ich nun wirklich nicht leiden, aber ich dachte, schau trotzdem mal rein. Es hat mich begeistert: Ich habe daraufhin alle Termine abgesagt, die an diesem Mittwoch frühnachmittag lagen, um weiter dieses Seminar besuchen zu können. In einer der letzten Stunden sollten wir Sätze analysieren in Sprachen, deren Namen ich bis dahin noch nicht einmal gehört hatte – Udi und Altgeorgisch 6. und 7. Jahrhundert glaube ich. Ich war mit Feuereifer bei der Sache, als ich bemerkte, dass es schon 15 Uhr war, das Seminar sollte aber nur bis 14:45 Uhr dauern. Ich habe im Stillen gehofft, dass Prof. Schulze es nicht merkt. Als er dann aber sagte: „Ohje, wir sind ja schon fertig, dann müssen wir nächstes Mal weiter machen“, war ich kurz davor, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Sie können doch jetzt nicht einfach aufhören! – So etwas habe ich noch nie erlebt und das bleibt eine meiner stärksten Erinnerungen an Prof. Schulze. (Gabriella Maráz)

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Die schönsten Stunden mit Herrn Schulze waren für mich diejenigen in seiner Veranstaltung über Cultural Linguistics und Kognitive Linguistik, die wir im 2. CCL-Jahr hatten. Herr Schulze ist die Person, die mir bezüglich des Stellenwerts von Sprache als Konstrukt in unserer Welt wirklich die Augen geöffnet hat. Mit ihm kamen sehr aufschlussreiche Diskussionen zustande darüber, was für ein Verhältnis zwischen Sprache und Kognition besteht sowie über den Sprachrelativismus. Und dank ihm habe ich verstanden, dass Sprache gar nicht so wichtig ist – im Sinne, dass man sie gar nicht so mystifizieren sollte und ihre Rolle in mancher Hinsicht überschätzt wird. Ich kann es noch nicht so gut erklären, aber ich finde, dass das die wichtigste Erkenntnis ist, die man als Sprachwissenschaftler gewinnen kann. Jetzt besuche ich weiterhin viele Veranstaltungen, in denen Themen der Cultural Lingustics und der Kognitiven Linguistik diskutiert werden, und immer fallen mir Erkenntnisse ein, die ich ganz und gar Herrn Schulze zu verdanken habe. Und genau das zeigt mir, dass Herr Schulze wirklich immer noch unter uns präsent ist die Erinnerungen an ihn viele von uns im Alltag begleiten. (N.N.)

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Ich habe Herrn Schulze im Rahmen meines Masterstudiums Cultural & Cognitive Linguistics kennengelernt und konnte immer darauf vertrauen, motivierendes Feedback zu meinen Hausarbeiten zu erhalten. Herr Schulze verstand es hervorragend, Kritikpunkte in einer Weise anzusprechen, die einen dazu anhielt, mit neuer Motivation und frischem Elan an seiner Sache weiterzuarbeiten. Nachdem ich auch meine Masterarbeit bei ihm geschrieben hatte, fragte mich Herr Schulze schließlich, ob ich bereits einen Plan für die Zeit nach meinem Abschluss hätte. Als ich dies verneinte, fragte er weiter, ob ich schon einmal darüber nachgedacht hätte, eine Doktorarbeit zu schreiben. Wahrheitsgemäß habe ich auch das verneint, woraufhin mir Herr Schulze nahelegte, sich das Ganze zu überlegen, da er sich durchaus vorstellen könne, meine Arbeit zu betreuen. Nach einigem Hin- und Hergrübeln schrieb ich ihm wenige Wochen darauf eine E-Mail mit einer Idee zu einem Dissertationsthema. Herr Schulze war begeistert und bot mir umgehend an, die Arbeit zu betreuen. Außerdem riet er mir nachdringlich dazu, mich für die Class of Language zu bewerben. Ich zweifelte zunächst daran, eine Chance zu haben, Herrn Schulzes aufmunternte Worte aber führten dazu, dass ich meine Bewerbung einreichte – und tatsächlich angenommen wurde. Nun arbeite ich bereits seit bald zwei Jahren an meiner Dissertation und bin froh, mich ein Mitglied der Class of Language nennen zu können, bringt diese doch – vor allem in dieser Zeit – einen gewissen Halt mit sich, den ich nicht missen möchte.
Kurz gesagt: Ohne Herrn Schulze wäre ich wahrscheinlich gar nicht erst auf die Idee gekommen, eine Dissertation anzustreben. Dafür und für seine stets hervorrangenden Ratschläge und den wertvollen Input bezüglich meiner Arbeit bin ich ihm unendlich dankbar. Seine motivierenden Worte und die Begeisterung, mit der er sich seiner Arbeit als Betreuer annahm, werden mir sehr fehlen, aber dadurch, dass es ohne Herrn Schulze auch mein Projekt nicht geben würde, bin ich umso entschlossener, mein Dissertationsvorhaben so zu beenden, dass Herr Schulze hoffentlich zufrieden gewesen wäre. (Caterina Berger)

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Bei Wolfgang Schulze hatte ich 1993 meine Magisterprüfung, bald nachdem er nach München gekommen war. Seine Frage, was die Junggrammatiker als erste getan haben, konnte ich nicht beantworten. Er hat mir dann gesagt, dass sie die Feldforschung in die Sprachwissenschaft eingeführt haben. Das hat sich mir bleibend eingeprägt. (Katja Kupfer)

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Mir fehlen Worte. In allen Sprachen der Welt.
Eine der Sachen, die ich bei Wolfgang so besonders fand: dreht sich zur Tafel um, schreibt einen Satz auf (insert language), dreht sich zu den Studenten – „Haben wir Muttersprachler hier? Hab ich da irgendwo wieder ein Fehler?“ Beim Türkischen war es oft, dass er kleine Fehler hatte und dann korrigiert werden musste.
Er hat nie geduldet, dass ich ihn gesiezt habe und hat immer darauf bestanden, dass ich ihn Wolfgang nennen sollte. Ich habe mich freundlich geweigert. Dies hat dazu geführt, dass nach dem ersten Alumni-Treffen ich mit Wolfgang gezwungenermaßen Bruderschaft getrunken habe.
In meiner Zwischenprüfung haben auf mich zwei Überraschungen gewartet: erstens war statt Althebräisch (was abgemacht war) Yiddisch aufgeführt; zweitens war ein relativ grober, aber primär witziger Fehler in dem Beispiel auf Russisch, den ich bemängeln musste. Auf meine Nachfrage, wieso Yiddisch, hat Wolfgang gemeint: „Ach, ich wusste da war was, aber du kannst doch Yiddisch! Und bestanden hast du ja!“ (Taisya Pasynkova)

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Ich kann – ohne zu übertreiben –- sagen, dass Wolfgang zu den Menschen in meinem Leben gehört, die mich am meisten inspiriert haben. Ich habe ihn mehr als zehn Jahre gekannt und bei ihm eine Menge, nicht nur über Sprachwissenschaft, sondern auch über das kritische Denken allgemein und ja gar das Leben an sich, gelernt. Ich möchte hier einen Moment von unseren Begegnungen mit Ihnen/euch teilen, weil er für mich in meiner jetzigen Phase viel bedeutet.
Ich war im 3. oder 4. Jahr der Promotion und in einer dieser Phasen, wo man dran zweifelt, ob man das Projekt doch zu Ende bringen kann. Da saß ich bei Wolfgang im Büro. Wir haben uns zuerst über den Zwischenstand meiner Arbeit ausgetauscht. Irgendwann war ich dann mutig genug, um über meinen Frust zu reden: „Ehrlich gesagt möchte ich vielleicht nicht mehr weitermachen.“ Wolfgang schien ziemlich überrascht zu sein und erwiderte: „Wo kommt das jetzt her?“ Die Reaktion hatte ich nicht erwartet, denn ich war davon ausgegangen, dass er bis dahin schon Anzeichen bemerkt haben musste, dass die Arbeit nur noch so vor sich hin schleppte. Anscheinend ist die Außenperspektive immer ein bisschen anders. Da, wo wir an die „to be, or not to be“ Frage gelangten, sagte Wolfgang: „Weißt du, ich kenne bis jetzt nur eine Person, die während seiner Promotion kein einziges Mal aufgeben wollte.“ Ich gab ihm sofort nickend ein Zeichen, dass ich wusste, wen er meinte. Danach fragte ich ihn: „Wo holst du deine Motivation her?“ Das, was er als Nächstes sagte, wird für immer in meiner Erinnerung bleiben: „Jeden Morgen wenn ich aufstehe, kann ich nicht lange warten, bis ich meinen PC einschalte. So sehr freue ich mich auf die Arbeit und die Sprachdaten.“ Ja, ich habe ihn und den einen hochmotivierten Promovenden beneidet – um ihre Leidenschaft. Nun sind ungefähr zwei Jahre vergangen und ich habe endlich einen Plan für mein Leben gefunden, auch wenn er noch nicht in Stein gemeißelt ist. Aber es ist ein Plan, den ich mit Leidenschaft verfolgen werde und von dem ich auch mit Stolz meinen Freunden erzähle. Wolfgang hat immer an mich geglaubt. Er und seine ermutigenden Worte werden mich für immer begleiten – in meiner wissenschaftlichen Karriere und in meinem Leben. Danke für alles, lieber Wolfgang. (Yan Peng)

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Von Wolfang Schulze konnte man wie von keinem anderen lernen, was es heißt, über den fachlichen Tellerrand zu schauen. Wie er verschiedenste linguistische, psychologische und philosophische Theorien in seiner Forschung und Lehre miteinander verbunden hat bleibt für mich unvergesslich, einzigartig, und unersetzbar. (Cornelia van Scherpenberg)

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Ein schönes Bild aus einem Gutachten von Herrn Schulze über mich: „Hier scheint es mir derzeit leider in vielen Arbeiten allzu gängig, sich im ‚Supermarkt der Sprachtypologie’ schnell noch des einen oder anderen Belegs zu bedienen („schau, das gibt’s da und dort auch...“), um ein größeres Maß an (scheinbarer) Generalisierbarkeit zu erreichen.“ (Tabea Reiner)

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Das AEK, nämlich das „Akkusativ-Ergativ-Kontinuum“, hatte seine Hoch-Zeit um die Jahrtausendwende. Für einige Jahre beherrschte es alle Seminare und war direkt oder indirekt die Grundlage aller Diskussionen um Morphologie, Syntax und Semantik. Es war das Zentrum des Typologischen, wie es am Institut im 4. Stock zur Adalbertstraße hin verstanden wurde. Man konnte sehr viel lernen, wenn man bereit war, sich da hineinzuvertiefen. Mir persönlich war es beste Vorbereitung zur Feldforschung bzw. zum Nachdenken über Grammatik und Grammatikschreiben. Die Vorstellung eines Kontinuums zur Beschreibung der alignment Faktoren einer Sprache überzeugte mich schnell, da eine einzelne Sprache selten ein so kohärentes Bild abgibt wie zum Beispiel das Dyirbal als Prototyp einer ergativisch ausgerichteten Sprache. Schon die kaukasischen Sprachen waren da viel anspruchsvoller einzuordnen … Leider erzählte Wolfgang wenig vom Kaukasus und seinen dortigen Aufenthalten … Neu war der Ansatz nicht, in konstruktionellen Kontinua zu denken; das ist verknüpft mit der Arbeit der Typologen in Köln, besonders des Altmeisters Hansjakob Seiler. Doch im Zusammenhang der Ausrichtungstypologie war es noch nie so konsequent angewendet worden. Ich habe viel gelernt – und der dicke Ordner steht noch immer freundlich in meinem Regal! (Claudia Gerstner-Link)

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Vom Kaukasus nach Neuguinea. Der Kaukasus und Neuguinea liegen geographisch sehr weit auseinander. Sollten sie etwas gemein haben, am Ende noch etwas Linguistisches? Eines haben sie gemein: hohe Bergmassive. Struktureigenschaften der Landschaft können sich auf das deiktische System von Sprachen auswirken. Im Kaukasus findet man elaborierte deiktische Systeme, die insbesondere auch die vertikale Achse integrieren. Im Nimboran, einer Papua-Sprache, wird man ebenfalls Zeuge einer höchst ausdifferenzierten Deixis; sie ist mittels Suffixen in das Verb integriert und vereint ebenfalls die horizontale mit der vertikalen Achse. Ein Wiedersehen über Kontinente. Eine der kaukasischen Sprachen fiel mir besonders vom Himmel, nämlich das Udi. Strukturkurse. Ich nahm aufmerksam und begeistert teil. Nicht, weil sich hier besondere Ähnlichkeiten zu meinem Papuaraum einstellten. Das Andersartige zog mich an: als quasi selbst-didaktisches Mittel, meinen linguistischen Raum objektiv abzuwägen in der Gegenüberstellung. Wolfgang wollte eine moderne Grammtik des Udi schreiben. Ein so wünschenswertes Projekt! Erste Gestalt nahm es in den Jahren 2002/2003 an. Dann kam Alt-Udi oder das ‚Albanische‘. Vom Himmel gefallen für den historischen Sprachwissenschaftler in Wolfgang. Entzifferungsarbeit, Analysearbeit im Team. Das moderne Udi und die moderne Grammatik blieben liegen. Ich hoffte immer auf die Jahre nach der Pensionierung. Tragisch, daß sie ausblieben. Für Wolfgang und für das Udi. (Claudia Gerstner-Link)

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Wenn ich an Herrn Schulze denke, fällt mir vieles ein, und ich könnte lange reden. Eindrücklich ist mir vor allem, dass ich mich von ihm (passsiert nicht bei jedem) mit freundlichen Augen angeguckt gefühlt habe. Einfach so. Als Mensch. Ohne Vorher und Nachher.
Als mir nach dem überraschenden Tod meines Mannes klar war, dass ich alte Witwe noch einmal studieren wollte, wählte ich – durch seltsamen Zufall gefügt – als Hauptfach Sprachwissenschaften. Mit Sprache und Sprachen hatte ich zu tun gehabt, von der Wissenschaft wusste ich nichts. Der Anfang fiel mir sehr, sehr schwer, was ich gern auf meine große Gymnasialoberstufenferne abschieben wollte. Irgendwann hat es gezündet – auch mit Hilfe sehr lieber junger Kommilitonen – und, obwohl ich immer noch meine, besser das Viele zu wissen, was ich nicht weiß, als das Wenige, was ich weiß, schloß ich das Studium ab.
Etwas engstirnig besuchte ich fast ausschließlich die Seminare von Wolfgang Schulze. Da fühlte ich mich wohl, obwohl er nie Zeit für ein Gespräch hatte und ich nur wenig verstand. Aber er war kein Lehrer aus dem vorigen Jahrhundert, mit gefiel der Zeitbezug, und vor allem: Ich fühlte mich mit freundlichen Augen angeschaut und wahrgenommen – einfach so, ungeachtet von Alter und Vergangenheit und Wissen und Nichtwissen.
Bei seiner Emeritierung war ich nicht mehr in München. Leider hat der Computer den Brief getilgt, in dem er von dem Schmerz schrieb, dass das von ihm Aufgebaute der "Moderne" zum Opfer fallen musste.
Ich denke manchmal an ihn. An seine Freude über die Erfolge seiner Frau. Auf den Nano-studierenden Sohn (Er ist wohl schon fertig? – Persönliches selten ein Thema.) An seine lange Fahrerei nach München und das Leben auf dem Dorf. Die freundliche Widmung an die Schwiegereltern. Und an seine Freundlichkeit. Danke. (Anita Ehlers)

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Wolfgang was a member of the select band who gathered in Hull in 1983 for a small gathering of Caucasologists to discuss our individual work, and out of this developed the Societas Caucasologica Europaea, which had great success as a focus for those working on Caucasian languages for the decade or so of its existence.
I enjoyed the time Wolfgang and I were able to spend together as part of the wonderful conference on endangered languages held in Ardahan in October 2014. I recall us standing together at Ani overlooking the river that divides Turkey from Armenia and him telling me how years before he had stood on the other side of the river looking over into Turkey and gazing up at what he could see of the ruins on the Ani site. I am saddened to have to think now of that memorable time in Ardahan and Ani as being the occasion of our last meeting. (George Hewitt)

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Ihre traurige Nachricht hat mich erschüttert: Wolfgang Schulze gehörte ja aus meiner Perspektive zu den jüngeren Kollegen und war eben erst emeritiert worden. Ich kannte Wolfgang seit seiner Studentenzeit, schätzte seine sanfte, persönliche Freundlichkeit und seine fachliche Kompetenz. Den engsten, unvergesslichen Kontakt mit ihm hatte ich, als wir beide noch während der Sowjetzeit in Tbilissi im selben Hotel untergebracht waren und ausgiebig miteinander reden und diskutieren konnten. Er wird mir nicht nur persönlich fehlen, sondern sein viel zu früher Tod hat auch die Zahl der Kaukasisten in Deutschland und Europa bedrohlich reduziert. (Winfried Boeder)

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Wolfgang war erst voriges Jahr bei uns in Köln mit Gastvorträgen, wir haben auch Pläne für die Zukunft gemacht. Er war nicht nur ein hervorragender Kenner der Sprachen Daghestans, sondern auch ein philosophisch denkender tiefschürfender Linguist, der viel über das Wesen der Sprache und ihre Evolution nachdachte. Wolfgang war ein wohlwollender, fairer und hilfsbereiter Mensch, der vielen jungen Kollegen den Weg in die Linguistik gewiesen und einigen von uns mit Rat und Tat entscheidend geholfen hat. Es ist tragisch, dass er bereits so früh von uns gehen musste. (Eugen Hill)

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Kennenlernen durfte ich diesen Genius im Rahmen meines Studiums, und bei meiner ersten Vorlesung damals kam ich mir vor wie im falschen Film. Sprachwissenschaften ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Er war rhetorisch brilliant, und ich kenne kaum andere Personen, deren Vokabular so unerschöpflich scheint. Sein Wissen und seine unglaubliche Fähigkeit, ums Eck zu denken und auf Zack zu sein, haben mich immer stark beeindruckt. Ich habe ihn immer bewundert. Vor allem auch, weil er keiner dieser Professoren war, die sich irgendwann in Arroganz verlieren. Er war echt, authentisch, herzlich, menschlich, so unglaublich eloquent und liebenswürdig. Die Tränen fließen.
Am Anfang meines Studiums fühlte ich mich überfordert, doch er war da und half. Er war ansprechbar und kooperativ.
Ich erinnere mich an seine 0,5l Cola, die er gern trank. :) Und dass er ab und zu heimlich im Büro rauchte.
Ich erinnere mich an seine Begeisterung für alles, was er vorstellte und uns beibrachte.
Ich erinnere mich an sein freundliches Lächeln.
Ich erinnere mich an meine mündliche Magisterprüfung, in der er mir die unglaubliche Note meiner Magisterarbeit verschmitzt mitteilte.
Ich erinnere mich immer wieder an signifiant signifié.
An seine Begeisterung für Kasachstan und Madagaskar und seine Anekdoten seiner Studienreisen.
Er wird mir immer als grandioser Professor in Erinnerung bleiben und ich wünschte mir, es gäbe mehr Akademiker*innen wie ihn.
Ruhen Sie in Frieden, lieber Herr Dr. Schulze. Sie bleiben unvergessen und in meinem Herzen. (Simone Juliette Ullrich)

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Herr Schulze hat mich nachhaltig geprägt, indem er mir eine neue Dimension der Sprachwissenschaft gezeigt hat, die mich oft beim Sprachenlernen beschäftigte. Als ich im Jahr 1998 das erste Semester anfing, hatte ich gerade das große Deutsche Sprachdiplom absolviert. Ich fühlte mich sozusagen sprachlich fit für die deutsche Uni, ahnte aber nicht, dass ich mich an anderen Dialekte und Sprechgeschwindigkeiten gewöhnen musste, um alles gedanklich aufnehmen zu können. Es war eine Herausforderung, bis ich dann seine Konzepte von Embodiment und Sprachwahrnehmung, die Prinzipien der kognitiven Linguistik und die Prozesse der Metaphorisierung verstanden hatte. Dies war so erleuchtend und spannend, dass ich am Ende des Studiums die Thematik der Wortassoziation im Deutschen und Franko-kanadischen für meine Magisterarbeit gewählt hatte. Abgesehen davon kann ich mich auch erinnern, dass sich Herr Schulze für dialektale Besonderheiten interessiert hat. Einmal hat er mich gefragt, warum wir in Québécois diese ungewöhnliche Fragepartikel -tu, bzw. -ti, verwenden. Diese Unterhaltung wurde dann zu einem Vortrag, die ich in seinem Kurs mit einer Kommilitonin gehalten habe. Schließlich kam in der mündlichen Prüfung eine letzte Frage, die sich auf die räumliche Wahrnehmung bezieht: „Warum sagen wir im Englischen „on the street“ und im Französischen „dans la rue“? Ich weiß nicht mehr, was ich damals geantwortet hatte. Auf jeden Fall würde ich mich immer noch sehr gerne über solche Fragestellungen unterhalten. (Mélody Roussy-Parent)

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Wolfgang hat mir nach erfolgreicher Verteidigung meiner Doktorarbeit mal gesagt, ich sei ein "Virtuose", solle aber "aufpassen, dass ich nicht zu viel auf einmal will". Damit konnte ich zunächst nicht viel anfangen. Während meiner heutigen Arbeit am Mercator-Institut ("nach Kölle gehst Du, Klasse" freute er sich mit mir, als ich von der neuen Stelle berichtete) kommen mir seine Worte immer wieder in den Sinn. Sie begleiten mich in gewisser Weise und erinnern mich daran, meine – ja vielleicht virtuosen – Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und sie gleichzeitig machbar und realistisch zu halten. Wolfgangs kritische Worte, die er auf seine typische Art – Wolfgangstyle – meistens zu Kapiteln meiner Doktorarbeit äußerte, haben mich geschult, in gewisser Weise resilient gegenüber Kritik zu sein und sie gleichzeitig konstruktiv zu nutzen. Eine Kostprobe aus einer Manuskriptversion: "Was ist der Maßstab? Die Norm der Schriftsprache? Dahinter schaut dann immer die Vorstellung hervor, dass die Schriftsprache quasi das Maß aller Dinge ist – was natürlich allein aus kognitiver Sicht völliger Unsinn wäre". Mein Lieblingskommentar ist aber folgender: "Dahinter steckt ein gewaltiges Problem: Was ist für den Sprecher eine Sprache (nicht für den Wissenschaftler) eine/seine Sprache? oder: Wann ist eine Sprache eine Sprache aus volkslinguistischer Sicht? Welche Rolle spielen Lexikon vs. (?) Grammatik? Und welche die Phonetik (extra: nicht Phonologie)? Wenn ein Sprecher e.g. türkische lexikalische Brocken in seine deutsche grammatische Praxis einstreut: Ist das dann ein türkisches Element für ihn oder nur lexikalisch variantes Deutsch? Analoges gilt für einen Hörer. Letztendlich geht es ja um das Sprachwissen des Individuums und die Rezeption (und damit Rück-Spiegelung à la Mead) der entsprechenden Praxis." (Till Woerfel, Doktorand 2011–2016)

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In meinen Regalmetern fachlicher Literatur stehen die zwei Bände “Person, Klasse, Kongruenz” als offensichtlich meist in die Hand genommene Bücher.
Prof. Schulze hat an mich geglaubt. Vor allem dank seiner habe ich die Energie und die Disziplin gefunden, das Linguistik-Studium zu verfolgen und sogar abzuschließen. Erworbene Methoden und Inhalte waren mir in der Folge beruflich und persönlich sehr von Nutzen.
Im vergangenen Jahr habe ich meine Erwerbstätigkeit beendet und hoffte eigentlich, auf einem Symposion oder einer Tagung den emeritierten Prof. Schulze noch erleben zu können.
Ich bin sehr traurig, dass Prof. Schulze im April verstorben ist. Oft denke ich jetzt auch daran, wie er anekdotisch von seinen, damals jeweils gerade geborenen oder sehr kleinen, Söhnen erzählte. Deren Vornamen ließen sich leicht ergänzen durch die Nachnamen prominenter Sprachwissenschaftler ... Prof. Schulzes Frau und Kindern gilt mein Mitgefühl. (Regina Schmitt)

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